„Nalla, geh deinen Dad holen!“
Es dauerte einen Moment ehe Nalla überhaupt reagierte. Sie hatte noch nicht wirklich begriffen, WAS sie da gerade überhaupt gefunden hatte. „Daddy wird böse sein, weil wir nach draußen gegangen sind.“ murmelte sie schwach.
„Das ist egal! Hol deinen Dad. Oder Onkel V. Hol irgendwen!“ Brahve wirkte in diesem Moment alles andere als wie ein dreijähriges Kind, aber er hatte begriffen, dass es um Leben und Tod ging, sie alleine aber nicht viel ausrichten konnten.
Zitternd kam Bewegung in Nallas Körper. Sie schien zu begreifen, dass es wichtig war und dass sie etwas tun musste. Sie rannte los, stolperte ein paar Mal im Schnee und fand dann das Loch in der Mauer, durch das sie zurück auf das Anwesen gelangte, wo sie auf das sichere Haupthaus zu rannte.
Brahve trug eine schwarze, dicke Winterjacke, die allerdings durch das Spielen im Schnee selbst von Innen durchnässt war. Aber es war besser als nichts. Schnell zog er ihn aus, setzte sich in den Schnee und legte seine Jacke dem kleinen Mädchen, was lediglich in eine leichte Decke gewickelt mitten im Schnee auf dem Boden lag. Sie zeigte keinerlei Reaktion darauf, als Brahve ihr die Jacke umlegte.
Der kleine Vampirprinz wusste nicht, ob das Mädchen überhaupt mitbekam, dass er hier war, aber weil ihm nichts besseres einfiel, was er sonst sagen konnte, begann er, eine Geschichte zu erzählen, die ihm seine Mutter des öfteren erzählte, wenn er nicht einschlafen konnte. Eine wundervolle Geschichte von einer Prinzessin, die immer dafür sorgte, dass er sich besser fühlte.
In völliger Stille im Schneefall war nur die leise Kinderstimme eines kleinen Jungen zu hören, der einem Mädchen eine Geschichte über eine glückliche Prinzessin erzählte.
Nalla wusste schon, warum Brahve gesagt hatte, sie sollte V holen. V neigte von allen ihren Onkels am wenigstens dazu, wütend zu werden, wenn sie irgendetwas angestellt hatten, sah alles relativ locker. Als sie das Haupthaus betrat wurde ihr die Entscheidung, wen sie um Hilfe fragen sollte, allerdings auch recht schnell abgenommen. Der große Krieger mit den silbernen Augen kam ihr im Foyer entgegen und das kleine Mädchen rannte sofort auf ihn zu.
„V! Onkel V, du musst sofort mitkommen!“
Vishous zog die Augenbrauen leicht hoch. „So, muss ich das?“ Offenbar ging er davon aus, dass sie spielen wollte. „Nalla, ich weiß nicht, aber eigentlich habe ich jetzt keine Zeit um zu spielen.“
„Nein, du musst mitkommen. Brahve helfen!“
Diese wenigen Worten ließen die Körperhaltung des Bruders sofort verändern. Alle Alarmsignale gingen sofort an. Was, wenn der Prinz in Gefahr war? Nur zu gut wusste Vishous, wie sehr Wrath um die Sicherheit seines Sohnes rund um die Uhr besorgt war. Und jeder hier würde sofort sein Leben für diesen Jungen geben ohne auch nur einen Moment zu zögern. Vishous setzte sich in Bewegung. „Wo ist er?“ wollte er wissen.
„Komm.“ Nallas kleine Hand zog an dem starken Arm des Kriegers und sie lief Richtung Tür.
Wenig später, als Vishous sich gezwungen sah auf allen Vieren durch eine viel zu kleine Lücke in der Mauer zu krabbeln, fragte er sich, ob das Mädchen nicht doch nur mit ihm spielte.
„Nalla, ich hab wirklich keine Zeit für so was. Ich arbeite gerade an einem neuen Computersystem und ich...“
Vishous Protest verstummte, als er die kleine Gestalt des Prinzen im Schnee entdeckte und er erstarrte als ihm klar wurde, dass es genau genommen zwei Gestalten im Schnee waren, die zweite noch etwas kleiner als die von Brahve. „Was ist hier los, Nalla? Wer ist das?“ fragte er, weit schärfer als er es beabsichtigt hatte.
„Wir... wir haben sie gefunden.“ gab Nalla etwas kleinlaut zurück.
Der Krieger beeilte sich, wieder richtig auf die Beine zu kommen und rannte das letzte Stück bis zu der Stelle an der die Kinder im Schnee saßen. „Brahve, steh sofort auf!“ forderte er, als er sah, dass der Junge ohne Jacke im Schnee saß.
Brahve stand auf und deutete auf das leise weinende Mädchen. „Du musst ihr helfen, Onkel V.“ bat er.
Vishous nickte und hob das Mädchen erstmal hoch, hielt es etwas unbeholfen mit einem seiner starken Armen fest. Er überprüfte es grob auf Verletzungen, konnte aber nichts erkennen, wollte sie aber trotzdem zu seiner Shellan bringen um sicher zu gehen, dass er nichts übersah.
Etwas anderes jedoch zog seine Aufmerksamkeit auf sich. An der Decke, in die das Mädchen eingewickelt war, war ein Zettel befestigt, den er von dieser löste und auseinander faltete.
Nur einige wenigen, offenbar in Eile geschriebene Zeilen standen darauf. Adressiert war er an Rhage, aber Vishous laß ihn sich trotzdem durch. Immerhin ging es hier um die Sicherheit aller, also musste er wissen, was es mit dieser Nachricht auf sich hatte.
Rhage,
es tut mir leid, aber ich hatte keine andere Wahl. Mein Leben geht zu Ende und ich überlasse dir das Einzige, was mir in meinem traurigen Leben etwas bedeutet hat. Deine Tochter. Ich habe sie Kristin genannt.
Ich bin einer Spur gefolgt, von der ich glaube, sie führt zu dir. Ich hoffe, du findest sie und wirst von nun an auf sie aufpassen.
Ich habe keine Zeit mehr.
Es tut mir leid, Karen.
Vishous stockte der Atem. Er laß die Nachricht noch ein zweites Mal und schüttelte den Kopf, konnte es noch immer nicht fassen.
„Nalla, lauf ins Haus und hol Rhage. Wir kommen sofort nach. Es ist wichtig!“
Das Mädchen fragte diesmal nicht nach. Vishous Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie tun musste, was er sagte und so rannte sie los.
Brahve zog ungeduldig an V's Hosenbein. „Geht es ihr gut?“ fragte er mit großen Augen.
„Ich denke schon. Wir bringen sie jetzt rein. Jane wird sich um ihn kümmern. Und ich werde mit Rhage sprechen müssen.“ Vishous hielt es bei Rhage früherem Lebensstil nicht für ausgeschlossen, dass dabei mal ein Kind entstanden war, aber wenn es wirklich so war, wie diese Karen behauptete, dann würde das vermutlich ALLES ändern...
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