Die kommende Woche verlief wieder ziemlich genau so, wie die Wochen zu vor auch. Fast so, als hätte es diesen einen Abend nie gegeben.
Brahve erschien weiterhin nicht zum Training, machte weiter wie zu vor, verbrachte viel Zeit mit Shoul und Jhustice, rechnete es seinen beiden Freunden hoch an, dass sie ihn nicht dazu zwangen, zu reden, wenn er keine Lust hatte. Und er hatte meistens keine Lust.
Tatsächlich hatte Blay sein Angebot wahr gemacht und hatte ihm per Email das geschickt, was er in der Lektion erklärt hatte, bei der Wrath so wütend gewesen war, dass er sie verpasst hatte. Und scheinbar hatte er auch seinem Partner Qhuinn gesagt, dass er Brahve ebenfalls per Email auf dem Laufenden halten sollte, was er in seinen Lektionen behandelte, denn auch von ihm bekam er regelmäßig Nachrichten über den Stoff, der im Training erklärt wurde. Er hatte alle Emails gelesen, wusste theoretisch über alles Bescheid, was im Training ablief, aber näher damit beschäftigt hatte er sich nicht wirklich. Wenn jemand ihn fragen würde, so würde er noch nicht mal zu geben, dass er diese Mails gelesen hatte.
Auch diese Nacht hatte er im „Dungeon“ verbracht, hatte extra bis kurz vor dem Hell werden gewartet, bis er zurück ins Anwesen kehrte, weil er wusste, dass die Chance, dass ihm dort noch jemand begegnen würde, bevor er in sein Zimmer und in sein Bett verschwand, relativ gering war. Er hoffte nur, dass seine Mutter nie herausfinden würde, wie kurz vor dem Sonnenaufgang er zurück kehrte, denn vermutlich würde er ihr damit Angst machen, mit dem Wissen, welcher Gefahr er sich mutwillig aussetzte. In diesem Fall hatte er die Gene seines Vaters geerbt, denn seine Mutter konnte als Halbblut ungeschadet in die Sonne gehen.
„Brahve.“
Er zuckte zusammen, fühlte sich ertappt, als er jemanden seinen Namen sagen hörte. Langsam drehte er sich um, stellte sich innerlich schon darauf ein, dass er sich jetzt eine Standpauke anhören durfte, weil er jetzt erst zurück kam. Stattdessen sah er sich Kristin gegenüber, deren Gesichtsausdruck alles andere als wütend wirkte. Viel eher glaubte er darin Sorge zu lesen. Sorge um ihn. Und das war etwas, was er so nicht gewohnt war.
„Hallo Kristin.“ sagte er, ein wenig unsicher, wie er sich verhalten sollte. „Warum bist du noch wach? Es wird bald hell.“
Kristin war zwar noch nicht durch ihre Transition gegangen, konnte somit noch immer tagsüber nach draußen gehen, aber da sie hier auf dem Anwesen lebte, hatte sie natürlich den selben Rhythmus wie alle anderen auch, schlief tagsüber und war nachts war. „Das... ist mir nicht entgangen. Warum warst du noch draußen?“
Ihre Frage war keine Anklage. Wieder war da etwas, was er als Besorgnis erkannte. „Na ja, ich komme meistens erst so spät wieder. Ich will niemandem begegnen, verstehst du? Also, warum bist du noch wach?“ wiederholte er seine Frage.
„Vielleicht aus einem ganz ähnlichen Grund? Weil ich mich im Anwesen bewegen kann, ohne dass mir ständig jemand begegnet? Weil jetzt eigentlich alle schon schlafen. Und mich nicht ständig jemand fragt, wie es mir geht. Ich kann es langsam nicht mehr hören.“ gab sie zurück, klang jetzt sogar bitter, was er so bei ihr noch nie zu vor gehört hatte.
„Warum gehst du denn allen aus dem Weg? Zu dir sind sie doch alle nett. Deine Eltern lieben dich über alles.“
„Ja schon. Aber manchmal reicht das eben einfach nicht.“ Kristin zuckte mit den Schultern. „Ich hab einfach das Gefühl, dass ich mich selber nicht kenne, mit mir selber nichts anfangen kann. Und wenn ich alleine bin, komme ich irgendwie besser zurecht, als wenn ich in Gesellschaft bin, mich aber trotzdem alleine fühle.“
Brahve konnte spüren, dass sie gerade wirklich offen und ehrlich war und dass sie ihm vertraute, überraschte ihn erneut. „Wenn ich lieber gehen soll, ich wollte sowieso ins Bett und...“
„Nein, warte!“ unterbrach sie ihn, ohne nähe darüber nachzudenken. Als Brahve sie daraufhin mit großen Augen fragend ansah, stockte sie etwas. Diese Augen, die sie jedes Mal aufs Neue faszinierten. Es waren die blauen Augen seiner Mutter, in die sich ein kleiner, grüner Kreis gemischt hatte, der von seinem Vater stammte und der seine Augen noch außergewöhnlicher machten, als sie ohnehin schon waren.
„Ich... also wenn du dabei bist, fühle ich mich nicht alleine.“ gab sie nun zu.
„Gut zu wissen.“ Ein Lächeln umspielte Brahves Mundwinkeln. Etwas, was sich sogar für ihn selber ungewöhnlich anfühlte, weil es einfach viel zu selten vorkam, dass er lächelte. Der ernste Gesichtsausdruck schien sich bei ihm fast nie zu ändern, nie zu entspannen. Die Tatsache, dass Kristin es gelang, ihn zum Lächeln zu bringen, ließ ihn seine nächste Frage auch schon stellen, ohne dass er näher nachdachte, warum er das tat. „Hast du Lust morgen mit mir in die Stadt zu kommen? Vielleicht was essen oder so?“
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