Rhage hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Er war nur froh, dass Mary eingeschlafen war, er sie fest an sich gedrückt hielt. Er selber fand keine Ruhe. Nicht so lange Kristin noch immer um ihr Leben kämpfte. Dieser Alptraum musste einfach endlich ein Ende haben.
Sofort schreckte er hoch, als sich die Tür öffnete und ihm ein blasser Vishous entgegen trat, versuchte dann aber, etwas vorsichtiger aufzustehen, um Mary nicht zu wecken.
Eine Frage brauchte er nicht zu stellen, Vishous wusste auch so, was er wissen wollte. V lief zu ihm, legte ihm eine Hand auf die Schulter und nickte leicht. „Butchs Blut hat ihr geholfen. Jane hat sie jetzt stabilisiert. Sie ist noch sehr schwach, aber sie ist über den Berg.“
Rhage Körper sank in sich zusammen. In dem Moment brach alles aus ihm heraus und er ließ sich kraftlos gegen Vishous sinken. Die beiden waren lange genug Freunde, Brüder, als dass Vishous nicht wusste, dass er jetzt nichts anderes tun konnte und musste als Rhage zu halten. So sehr er es auch liebte zu scherzen, über die Tränen, die Rhage nun vergoss würde er niemals auch nur ein Wort verlieren.
„Danke.“ murmelte Rhage irgendwann leise.
„Jane war großartig. Butch geht es auch gut.“ sagte Vishous, wusste, dass das für Rhage sicher auch wichtig zu wissen war, nachdem Butch seiner Tochter geholfen hatte.
„Ist sie wach?“
„Nein. Ich denke, in vielleicht ein bis zwei Stunden wird sie wach werden.Wenn du willst, kannst du zu ihr.“
Rhages Blick wanderte zu Mary, unsicher, was er tun wollte, aber dann entschied er, dass es nicht fair war, sie nicht sofort wissen zu lassen, dass Kristin die Operation überstanden hatte. Er lief zu ihr, kniete sich vor ihr nieder und küsste ihre Stirn. „Mary? Lielan, wach auf. Kristin hat die Operation überstanden. Wir können jetzt zu ihr und warten bis sie wach wird.“
Zunächst schien Mary noch nicht so recht anwesend zu sein, aber als Rhage Kristin erwähnte, wurde sie wacher, zog sich langsam hoch und stand dann schließlich entschlossen neben ihm. „Ja, ich würde gerne zu ihr.“ nickte sie.
Zusammen betraten sie den Raum. Schweigend ging Rhage zu Butch, umarmte diesen, küsste ihm auf die Stirn. Butch verzog das Gesicht, tat so, als würde er angewidert seine Stirn abwischen, lächelte aber und schlug Rhage freundschaftlich gegen die Schulter. „Ich lasse euch jetzt mal alleine.“ sagte er nur leise, küsste schnell noch Mary auf die Wange und verließ dann auch schon den Raum.
„Sie... sie sieht so blass aus. Und so schwach.“ flüsterte Mary, als sie auf Kristin hinunter sah.
„Aber, sie wird es jetzt schaffen, Lielan. Sie ist eine Kämpferin. Mein Mädchen.“ sagte er, voller Stolz.
Mary lächelte, küsste Rhage kurz auf die Lippen und setzte sich dann neben das Bett. „Es wird alles wieder gut werden, mein Schatz. Alles wird gut. Mommy und Daddy sind hier.“ flüsterte sie und hielt die Hand ihrer Tochter fest in ihrer.
Rhage stand währenddessen hinter ihr, beobachtete die beiden Frauen, die der Mittelpunkt seiner Welt waren, streichelte Mary sanft über die Schulter. Ja, es würde alles wieder gut werden. Jetzt würde alles wieder gut werden und niemals wieder würde jemand es wagen, dass seiner Tochter jemand weh tun würde.
Blay und Qhuinn hatten abgewartet, bis Vishous mit der Neuigkeit, dass die OP gut verlaufen war, aus dem Raum gekommen war, bevor sie sich auf den Weg zurück ins Anwesen machten. Wieder brauchten sie nicht darüber sprechen, um zu wissen, wohin sie gehen wollten, bevor sie sich in ihr Zimmer zurück zogen.
Ein Klopfen an seiner Tür ließ Brahve aufsehen. Er fluchte leise, als ihm bewusst wurde, dass er noch immer nackt auf dem Bett lag. Schnell wischte er sich über den Mund, zog eine Boxershorts und ein Shirt über und lief zur Tür. Als er Blay und Qhuinn vor sich sah, rutschte ihm das Herz bis in die Hose, wünschte sich, er könnte in den Gesichtern der Beiden ein wenig mehr darüber lesen, weswegen sie hier waren.
„Kristin hat die OP gut überstanden. Sie wird bald aufwachen. Wir dachten, das würde dich vielleicht interessieren.“ Qhuinn war der jenige, der sprach und Brahve war ihm dankbar dafür, dass er es ohne jeden Unterton sagte, sondern es wirklich so wirkte, dass er einfach wollte, dass Brahve darüber Bescheid wusste.
Brahve nickte. „Danke.“ sagte er nur. Mehr erschien auch in dem Moment nicht wirklich nötig.
„Oh und... du sollst wohl in das Arbeitszimmer von deinem Vater kommen.“ sagte nun Blay.
Wenn Brahve ehrlich war, hatte er gehofft, dass er noch einen Moment hatte, bis er sich seinem Vater stellen musste, aber wie es aussah, war ihm das nicht vergönnt. „Ja, mach ich.“ sagte er nur noch, schloß dann seine Tür, hatte das Gefühl wenigstens noch einen Moment für sich alleine zu brauchen um sich zu sammeln bevor er dann wirklich zu Wrath gehen würde.
Brahve hasste es, sich wie ein schwaches, kleines Kind zu fühlen, als er vor der Tür des Arbeitszimmers stand. Er war ein erwachsener Mann, ein Krieger, aber wenn es um Wrath ging, schien das alles in den Hintergrund zu treten, so sehr er sich auch immer wieder sagte, dass er ihm erhobenen Hauptes entgegen treten musste. Kurz musste er an Beth denken, daran, wie es war, als seine Mutter ihn in den Armen gehalten hatte und versuchte sich zu sagen, dass auch sein Vater ihn lieben würde, wie Beth es ihm zu vor auch noch mal versichert hatte.
Er brauchte mehrere Ansätze, bis er endlich anklopfte und das Arbeitszimmer seines Vaters betrat. Dieses Zimmer jagte ihm jedes Mal, wenn er es betrat, einen riesigen Respekt ein, sah er es doch als den Ort, in dem er nicht als Sohn vor seinem Vater stand, sondern als Versager vor seinem König, der ihn bestrafen würde, für die Fehler, die er gemacht hatte und weil er schlicht und einfach nicht die Anforderungen erfüllte, die an ihn gestellt wurden. „Hallo Dad.“ sagte er und setzte sich auf den Stuhl gegenüber des Schreibtisches, hinter dem sein Vater saß.„Brahve, ich habe bereits von dem gehört was passiert ist und ich habe da einige Fragen an dich.“ kam Wrath ohne Umschweife zur Sache.
„Dad, ich... es tut mir leid. Ich weiß, dass ich nicht hätte einfach rausgehen sollen und...“ setzte Brahve bereits an, völlig darauf bedacht, sich irgendwie zu verteidigen, seine Fehler einzusehen.
„Ich wüsste nicht, dass ich dir schon eine Frage gestellt habe.“ unterbrach Wrath ihn streng. „Wieso bist du alleine raus gegangen? Ohne, dass jemand wusste, wo du warst? Ohne, dass du jemandem zu deinem Schutz mitgenommen hast?“ wollte er wissen.
„Ich... ich... wollte einfach nur was mit Kristin zusammen machen. Ich hätte nicht gedacht, dass es gefährlich sein würde.“ gab Brahve etwas stockend zurück.
„Ist es nicht das, was ich versuche, dir die ganze Zeit beizubringen? Es ist IMMER gefährlich, wenn du alleine nach draußen gehst, noch dazu ohne Waffen und mit einer Frau.“ sagte Wrath und schüttelte dann leicht den Kopf. „Brahve, ich habe lange nachgedacht und meine Entscheidung ist mir bestimmt nicht gerade leicht gefallen...“ setzte er an und seine Worte sorgten dafür, dass Brahves Blut in seinen Adern zu gefrieren schien. Er wusste, dass das was passiert war, das Fass zum überlaufen gebracht hatte und dass er damit auch bei seinem Vater einen Punkt erreicht hatte, an dem es kein Zurück mehr gab.
„Ich habe für dich immer zwei mögliche Richtungen gesehen, die du einschlagen könntest. Die eine ist die, dass du einmal der König unserer Rasse werden würdest. Und die andere und einzige Alternative, die ich akzeptieren könnte, wäre, dass du ein Krieger wirst, vielleicht sogar eines Tages in die Bruderschaft aufgenommen werden würdest. Diesen Weg hätte ich verstehen können, immerhin habe ich den gleichen Weg eingeschlagen, als ich jünger war. Ich wollte auch lieber kämpfen als die Krone übernehmen. Offensichtlich hast du dich für keinen dieser Wege entschieden.“
Wrath sprach mit tiefer, strenger Stimme, aber es war die Enttäuschung, die bei jedem Wort im Hintergrund mitschwang, die Brahve die Kehle zu schnürte und die Luft zum Atmen nahm.
„Ich habe lange gehofft, dass es vielleicht doch funktionieren könnte, als ich dich in das Trainingsprogramm aufgenommen habe. Bei jedem Anderen hätte ich wohl schon längst entschieden, ihn davon auszuschließen. Bei dir habe ich allerdings jetzt keine andere Wahl mehr. Du hast alle Regeln verletzt, die es für jemandem, der sich im Training befindet, gibt. Ich weiß, dass du diese Lesser irgendwie getötet hast und versteh mich nicht falsch, ich bin froh genug darüber, dass es nicht anders ausgegangen ist, aber es hätte niemals zu so einer Situation kommen dürfen. Ab sofort wirst du nicht mehr am Training teilnehmen!“
Brahve erstarrte. Wenn er mit einigem gerechnet hätte, aber auf keinen Fall damit. Es traf ihn völlig unerwartet. Und hatte er es teilweise in den letzten Monaten regelrecht darauf angelegt, aus dem Trainingsprogramm geschmissen zu werden, in dem er alles und jeden provoziert hatte und ohnehin die meiste Zeit nur mit Abwesenheit geglänzt hatte, so erschien es ihm jetzt so, als würde man ihm den letzten Halt, die einzige feste Konstante in seinem Leben wegnehmen.
„Aber... Dad... ich will jetzt trainieren. Ich will... mich wehren können, mich und andere beschützen können.“ versuchte er einen schwachen Versuch, etwas an dieser Entscheidung zu rütteln.
„Es tut mir leid, Sohn, aber leider ist es zu spät für solche Worte und eine solche Einsicht, wenn es denn eine wirkliche Einsicht ist.“ sagte Wrath und diesmal schwang echtes Bedauern in seiner Stimme mit.
Brahve nickte schwach. Er wusste zu gut, dass es jetzt keinen Sinn mehr machte, noch zu diskutieren. Wrath hatte seine Entscheidung getroffen und würde es sich nicht noch einmal anders überlegen. Und Brahve wusste selber, wie oft er schon gesagt hatte, er würde sich bessern, das Training ernst nehmen und im Endeffekt war er jedesmal schneller wieder in seine alten Gewohnheiten zurück gefallen als beim letzten Mal, als er das versprochen hatte. „Kann ich dann gehen? Ich wollte nach Kristin sehen.“
„Du kannst gehen. Aber halt dich vorerst von Kristin fern. Rhage wäre sicher nicht wirklich begeistert, wenn du jetzt bei ihr wärst.“
Unwillkürlich ballte Brahve eine Hand zu einer Faust, sagte aber nichts mehr und verließ den Raum.
Normalerweise wäre Brahve jetzt raus gegangen, weg vom Anwesen, weg von allem hier. Aber heute erschien es ihm nicht richtig. Auch wenn er nicht zu Kristin konnte, wollte er sie nicht hier zurück lassen. In sein Zimmer wollte er auch nicht, wohlwissend, dass dort noch immer der Geruch von Blut und Sex in der Luft liegen würde und er hatte einfach Angst, dass ihm dort die Decke auf den Kopf fallen würde.
Ohne darüber nachzudenken und den Grund dafür zu wissen, weswegen er diesen Weg einschlug, fand er sich schließlich im Trainingszentrum wieder, das um diese Zeit leer war, da das Training für heute längst vorbei war. Er seufzte leise, als ihm bewusst wurde, wie wenig er hier war und jetzt, als es längst zu spät war, sah er den Sinn und Nutzen, warum die jungen Krieger dieses Training brauchten. Es ging nicht darum, ihnen Befehle zu erteilen oder sie in ihrer Freiheit einzuschränken, sondern viel mehr darum, zu gewährleisten, dass sie wussten, wie sie sich und andere in dieser Welt verteidigen konnten.
Die Bruderschaft bestand aus den stärksten Krieger ihrer Rasse und Brahve konnte nun verstehen, warum jeder stolz darauf war ein Teil davon zu sein oder warum die jungen Krieger anstrebten es zu werden. Es musste ein gutes Gefühl sein, für den Erhalt und Schutz ihrer Rasse zu kämpfen. Brahve dagegen war nun völlig nutzlos... so wohl als Prinz, als auch als Krieger.
Nachdem Brahve sich eine Weile umgesehen hatte, entschied er sich, dass er, jetzt wo er schon mal hier war, ein wenig trainieren konnte. Es machte zwar keinen Sinn mehr, aber er hatte das Gefühl, einen Weg finden zu müssen, wie er seine Agressionen und innere Wut abbauen konnte. Er lief zu den Punchingbällen und begann dann – mit relativ grober Kraft, etwas unkoordinierten Bewegungen – auf diesen einzuschlagen. Nach wenigen Minuten ging sein Atem bereits schneller, sein Shirt was verschwitzt. Er riss sich dieses über den Kopf, nicht bereit, jetzt schon aufzugeben, gefangen in diesem Moment, in dem er sich frei fühlte, in dem er glaubte, alles von sich abprallen zu lassen und dieses in reine Kraft umwandelte. Er landete eine Reihe von Schlagkombinationen mit seiner Rechten, wechselte dann seine Schlaghand und schlug mit der Linken zu, bevor er wieder in recht blinder Wut und ohne jegliche Taktik auf den Punchingball eindrosch.
„Nicht schlecht. Du bist sehr schnell. Und du hast sehr viel Kraft. Aber du darfst nicht zu lassen, dass es deine Emotionen sind, die deinen Körper beherrschen. Und deine Deckung nicht vergessen!“
Brahve wirbelte herum, als er eine Stimme hinter sich hörte. Er hatte nicht mal bemerkt, dass jemand den Raum betreten hatte, so sehr war er in seine Schläge vertieft gewesen. Sein Atem ging viel zu schnell und er brauchte einen Moment bevor er überhaupt seine Stimme wieder fand, um Payne, Vishous Schwester und seit neuestem für das Training im aktiven Bereich mit zuständig, etwas zu antworten. „Stehst du schon lange da?“
Ein leichtes Lächeln umspielte Paynes Mundwinkel. Sie trug eine lockere, schwarze Trainingshose und ein einfaches, weißes Topf, ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Eigentlich war sie gerade damit beschäftigt gewesen, die Sachen wegzuräumen, die sie beim Training mit der Jungend in ihrer Lektion zu vor benutzt hatte, bis sie auf den jungen Prinz aufmerksam geworden war und stehen geblieben war um ihm zu zu sehen.
„Lange genug um erstens zu wissen, dass du dich von deinen Emotionen einnehmen lässt und zweitens, dass du deine Deckung vergisst und nicht mal merkst, dass du nicht alleine und angreifbar bist.“ antwortete sie.
„Ich hab gedacht, ich bin alleine hier.“ gab Brahve nur knapp zurück.
„Das hat man gemerkt.“ grinste Payne. „Offensichtlich bist du nicht alleine. Und wie schon gesagt... du bist gar nicht mal schlecht. Kraft hast du. Ausdauer auch, jedenfalls lässt sich an dieser arbeiten. Und du bist schnell, schneller als die meisten anderen, die ich bisher kämpfen gesehen habe. Wenn du öfters zum Training kommen würdest, würde ich aus dir einen richtigen Krieger machen.“ sagte sie.
Brahve biss die Zähne zusammen und senkte langsam seinen Kopf. Es überraschte ihn selber, aber zum ersten Mal war es ihm nicht egal, was einer seiner Lehrer über ihn dachte und er musste zu geben, dass er sich für das, was er jetzt sagen musste, schämte. „Nur wird das wohl nie passieren. Ich bin raus aus dem Training.“
Für den Fall, dass Payne überrascht war über diese Neuigkeit, so gelang es ihr geschickt, ihre Überraschung zu verbergen. „Wenn du Interesse daran hast, dass ich dich trainiere, dann musst es nur sagen. Ich kann das auch außerhalb des Trainings machen, allerdings geht das Ganze nach meinen Regeln.“
Brahve starrte Payne mit leicht geöffnetem Mund an. „Ist das dein Ernst? Du würdest deine Zeit verschwenden um mit mir zu trainieren?“
„Lass das mal meine Sorge sein, ob das Zeitverschwendung wäre. Allerdings müsstest du schon trainieren wollen. Sonst mach das keinen Sinn.“
Vor seinen Augen sah Brahve wieder Kristin am Boden liegen inmitten von dem vielen Blut, fühlte wieder diese Hilflosigkeit, die er in diesem Moment empfunden hatte. „Ja, ich will trainieren.“ antwortete er so schnell, dass er gar nicht noch mal näher darüber nachdenken konnte und vielleicht noch einen Rückzieher machen konnte.
„Okay, wie gesagt, die Regeln bestimme ich. Das wann, wo und wie auch. Ich erwarte dich morgen um 7 hier.“
„Um 7? Das ist ja noch vor dem dunkel werden!“
Payne zuckte die Schultern. „Meine Regeln.“
„Okay, ich werde hier ein.“ nickte Brahve.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen