Mittwoch, 25. April 2012

Chapter 26


Recht schnell wurde Brahve klar, dass er nicht weiter kommen würde, wenn er blind nach da draußen ging und nach ihr suchte, obwohl er auch die komplette Stadt auf den Kopf gestellt hätte um sie zu finden. Es gab nur eine einzige andere Möglichkeit, die ihm noch einfiel, wie er sie vielleicht schneller finden konnte. Einen Vorteil, den er gegenüber den anderen Brüder hatte, aber von dem er nicht wusste, ob er diesen auch zu einem echten Vorteil nutzen konnte. Immerhin hatte er es noch nie ausprobiert.
Er überlegte, wer ihm dabei helfen konnte, dass er seine Gabe wirklich richtig einsetzen konnte. Es musste jemand sein, dem er vertraute und von dem er glaubte, dass er diese Gabe verstehen konnte. Als erstes dachte er an V, der immerhin selber eine recht ungewöhnliche Gabe hatte, aber mit V konnte er kaum reden ohne sein geheimes Training zu verbergen. Und außerdem war V zu eng mit Rhage befreundet und somit wusste Brahve nicht genau, wie er das sehen würde, wenn er auf eigene Faust versuchen wollte, nach Kristin zu suchen. Also entschied er sich für Payne, von der wusste, dass sie als V's Zwillingsschwester eine ähnliche Gabe hatte wie V selber und seitdem sie mit ihm trainierte, genoss sie seinen vollen Respekt und sein Vertrauen.

Wie er fast erwartet hatte, traf er Payne im Trainingsraum an. Manchmal fragte er sich, wie viel Zeit sie genau dort verbrachte, aber sie schien immer völlig durch trainiert zu sein, aber nie sah man ihr wirklich viel Anstrengungen an, auch nach stundenlangem Training. „Ich brauche deine Hilfe.“ platzte es sofort aus ihm heraus, als er zu ihr trat.
Payne drehte sich zu ihm um, zog ihre Augenbrauen leicht hoch. „Nicht so schnell, Kleiner. Dafür, dass du noch grün hinter den Ohren bist, bist du aber ganz schön fordernd.“ grinste sie. Als sie daraufhin von Brahve allerdings keinerlei Regung sah, wurde sie ernst. „Okay, was ist denn passiert? Was das Training angeht, hälst du dich gut. Wir können das Training mit dem Dolch noch ein wenig ausbauen.“ sagte sie.
Darum geht es nicht. Kristin ist weg. Und ich... muss sie finden. Ich weiß, dass niemand mich beim Suchen helfen lassen wird, aber ich muss sie finden. Und ich glaube, das könnte ich auch.“ sagte er.
Und wie meinst du, dass du das könntest? Brahve, du hast zwar wirklich Fortschritte gemacht, aber ich weiß nicht, ob es so eine gute Idee ist, das alles schon in der Praxis zu probieren.“ gab Payne zu bedenken.
Ich habe eine... Gabe. Ich weiß nicht so genau, ob ich es so nennen soll. Ich habe davon noch nie jemandem erzählt. Weil ich selber nicht weiß, was genau das ist, warum ich das so kann und wie ich es nutzen kann.“ sprach Brahve nun etwas aus, was er schon seit so vielen Jahren mit sich rum getragen hatte.
Was für eine Gabe? Du musst mir schon ein bißchen was mehr darüber erzählen. Egal, was es ist!“ sagte Payne ernst.
Ich kann Gefühle anderer spüren. Aber ich kann sie nicht wirklich filtern, weiß nicht von wem genau sie kommen und warum ich bei manchen etwas spüren kann und bei anderen nicht. Ich... ich frage mich, ob ich es vielleicht auf jemanden bestimmten filtern kann. Wenn ich... wenn ich mich zum Beispiel auf Kristins Gefühle konzentrieren kann, dann kann ich diesen vielleicht folgen.“ Brahve presste seine Lippen fest aufeinander. „Okay, ich weiß, dass sich das wahrscheinlich ziemlich dumm anhören muss, aber es bleibt mir nicht gerade viel, was ich tun kann.“ sagte er dann leise.
Payne schüttelte den Kopf. „So dumm klingt das für mich nicht mal. Nur ist das Dumme, dass du mir bisher noch nie davon erzählt hast. Sonst hätten wir vielleicht zusammen üben können, hätten trainieren können, dass du das wirklich gezielt einsetzen kannst.“
Ich hab mich nicht getraut darüber zu sprechen.“ gab er zu.
Unsinn. Du solltest wissen, dass du das bei mir kannst!“ Sie stieß Brahve leicht in die Seite, hoffte, dass es ihr gelingen würde, ihn wieder ein wenig aufzulockern. „Aber okay... versuchen wir es. Was fühle ich denn im Moment? Konzentrier dich auf mich!“ sagte sie und sah ihn eindringlich mit ihren silbrigen Augen an.
Brahve atmete tief durch. Zunächst fühlte er überhaupt nichts. So was hatte er noch nie gemacht und er fragte sich wirklich, wieso er geglaubt hatte, dass so etwas funktionieren könnte. Aber dann... plötzlich waren die Gefühle ziemlich klar da. So klar, dass er sie fast greifen konnte. „Du bist überrascht. Entschlossen.“ sagte er leise.
Nicht schlecht. Allerdings weiß ich nicht genau, ob das jetzt so schwer war, zu filtern. Dass mich deine Neuigkeiten überrascht haben, war vorauszusehen.“ gab Payne zu bedenken.

Probier es mit mir.“ Qhuinn trat aus einer Ecke des Trainingsraumes. „Ich bin längst nicht mehr überrascht wegen dem, was du gerade erzählt hast. Und keine Angst, ich werde es bestimmt nicht verraten!“ sagte er und lief richtig zu den Beiden.
Du bist unmöglich Qhuinn. Aber gut... wo du schon hier bist und alles gehört hast... versuch es mit Qhuinn.“ nickte Payne Brahve zu.
Diesmal war es wirklich etwas schwerer, weil Qhuinns Gefühle nicht so offen lagen wie die von Payne in dem Moment zu vor. Es dauerte etwas, bis Brahve soweit war, zu erkennen, woran Qhuinn wohl gerade dachte und bis er dessen Gefühle wahrnehmen konnte. „Du... bist... erregt. Voller Vorfreude. Dann ist da noch Vertrauen. Und Wärme.“ Als Brahve seine Augen wieder öffnete, verzog er leicht das Gesicht. „Bitte aber keine Bilder dazu!“ mahnte er, weil ihm klar war, dass Qhuinn gerade an Blay gedacht hatte. Nur er würde diese Gefühle wohl in ihm auslösen.
Keine Angst. Das behalte ich für mich. Aber, du bist nicht schlecht, Kleiner. Wenn es nach mir geht, kannst du es versuchen. Aber... Blay und ich werden uns in deiner Nähe aufhalten. Alleingänge gibt es nicht, okay?“ sagte er ernst, sah kurz zu Payne, die nur leicht nickte um zu zeigen, dass sie mit Qhuinns Entscheidung einverstanden war.
Okay, keine Alleingänge.“ nickte Brahve.


Die Wohnung oder besser gesagt das kleine Zimmer wirkte absolut trostlos, kalt und unpersönlich und ihre Instinkte sagten ihr, dass sie von hier verschwinden sollte, so lange sie noch konnte, aber dennoch unterschrieb sie den Vertrag. Etwas anderes konnte sie sich nicht leisten und es gab nichts und niemanden, wo sie sonst hin konnte. Zurück ins Anwesen ging einfach nicht, dafür saß die Enttäuschung bei Kristin einfach zu tief. Sie wünschte sich, ihre leibliche Mutter wäre wenigstens nicht tot, obwohl sie sich sagen konnte, dass es nicht so gewesen war, dass diese sie nicht gewollt hatte, sie nur nicht hatte bei ihr bleiben können, weil sie gestorben war.
Sie schloß die Tür hinter sich ab und versuchte, es sich hier einigermaßen gemütlich zu machen. Ihr fehlte allerdings die Wärme. Die vertraute Nähe von... Brahve. So sehr sie sich auch wünschte, dass das nicht mehr so wäre, nach dem was sie gesehen hatte, aber Brahve war einfach etwas... tiefer gehendes.
Zitternd rollte sie sich auf der kleinen und unbequemen Matratze zusammen, vergrub ihr Gesicht in ihr Kissen und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie hatte keine Ahnung für wie lange sie sich dieses Zimmer leisten konnte, keine Ahnung, was sie danach tun sollte. Und vor allem war sie einfach nur... alleine. In dieser Welt gab es wohl keinen Platz für sie. Sie war Niemand. Sie hatte Niemanden.
Die Stimme, die zu ihr gesprochen hatte, als sie gedacht hatte, dass sie im Schleier war, geisterte durch ihren Kopf. Das musste ein Irrturm gewesen sein. Es gab hier nichts mehr, was sie noch zu tun hatte. Sie hätte sterben sollen. Dann wäre sie wenigstens in dem Wissen gestorben, dass ihre Welt noch in Ordnung war und nicht auf Lügen aufgebaut gewesen war.

Brahve stand in Kristin Zimmer und hatte die Augen geschlossen. Ihr Duft, der ihn an einen angenehmen Sommerabend erinnerte, schien alles zu überlagen, so dass es ihm nicht gelingen wollte, hier auch noch etwas anderes wahrzunehmen. Er zwang sich jedoch, jetzt nicht schon sofort aufzugeben. Einmal in seinem Leben musste er stark sein und ein Vorhaben auch wirklich zu Ende bringen. Kristin war irgendwo alleine da draußen und er konnte nicht zu lassen, dass ihr etwas passierte. Nicht noch einmal.
Gerade als er einen schwachen Anstrum ihrer Gefühle wahrnehmen konnte, der allerdings bereits genügte um ihm das Herz zu zerreissen, hörte er eine scharfe Stimme hinter sich.
Was machst du im Zimmer meiner Tochter?“ Rhage stand im Türrahmen, die Arme in die Hüften gestemmt und sah ihn wenig begeistert an.
Brahve atmete tief durch. „Ich... will auch helfen, sie zu finden.“ sagte er und wünschte, seine Stimme würde etwas sicherer klingen.
Ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee ist. Du solltest dich da wirklich raushalten.“
Egal, was du sagst, ich werde mich NICHT daraus halten.“ zischte Brahve.
Dann werde ich eben mit Wrath reden. Und dann wirst du dich raushalten müssen.“
Ich habe keine Angst vor meinem Vater. Und es ist mir egal, ob er es mir verbieten wird.“ sagte Brahve und hielt dem Blick des Kriegers stand.

Rhage schüttelte nur seinen Kopf, drehte sich um und ging. Vermutlich um mit Wrath zu reden. Aber Brahve hatte es ernst gemeint, dass er sich nicht davon würde abhalten lassen. Nicht dieses Mal. Nicht bei Kristin.
Seine Entschlossenheit schien ihm zu helfen, sich wieder auf Kristins Gefühle zu konzentrieren und er nahm ihre Verzweiflung und Enttäuschung wieder war, hatte Angst davor, dass sie daran zerberechen würde, so stark wie diese Gefühle waren. Er folgte dieser Spur durch das Anwesen und verließ dieses durch die Vordertür. Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr und sah Qhuinn und Blay hinter sich, beide entschlossen, das zu tun, was Qhuinn angekündigt hatte – ihm zu folgen.
In der Stadt wurde es weit schwerer ihren Gefühlen zu folgen. Zu sehr mischten sich hier die unterschiedlichsten Gefühle und hin und wieder hatte Brahve das Gefühl, dass diese ihn von ihnen zerreissen würden. Sein Kopf schmerzte und er fühlte sich geschwächt, wollte aber jetzt auf keinen Fall aufgeben, nicht sicher, ob es ihm überhaupt gelingen würde, Kristins Spur überhaupt noch mal so weit zu verfolgen.
Plötzlich hatte er das Gefühl, dass es in seinem Inneren vibrieren würde und er wusste, dass es daran lag, dass er Kristin näher kam. Die Gefühle verstärkten sich in der Straße, durch die er lief und er versuchte, dieser Vibration zu folgen. Die Gegend gefiel ihm überhaupt nicht und er hoffte fast ein wenig, dass er sich irrte und Kristin sich nicht hier aufhielt. Vor einem Haus blieb er aber stehen, sein Körper gesteuert von der Vibration in seinem Kopf.
Qhuinn und Blay, die sich die ganze Zeit über wirklich zurück gehalten hatten, traten nun neben ihn. „Wenn du in dieses Haus gehst, dann sei vorsichtig, okay? Wir lassen dich alleine gehen, aber nur weil wir denken, dass Kristin am ehesten dich sehen will und an sich ranlassen würde. Aber die Gegend hier... das gefällt mir gar nicht!“ sagte Qhuinn.
Wir sichern das Haus so lange von außen. Es würde mich nicht wundern, wenn hier irgendwo Lesser hausen würden.“ fügte Blay hinzu.
Brahve nickte. Ein ähnliches Gefühl hatte er auch. Aber dann musste er erst recht da rein gehen... „Ich gehe rein.“
Pass ja auf deinen Arsch auf. Wrath schickt uns irgendwohin ins Exil, wenn wir dich nicht in einem Teil wieder zurück bringen.“ mahnte Qhuinn noch mal.
Als Brahve das Haus betrat, schlug ihm sofort stickige Luft entgegen. Das Treppenhaus war düster, Licht schien es in diesem nicht zu geben. Dreckig war es außerdem. Noch immer hoffte ein Teil in ihm, dass er sich irrte, während der andere Teil ihn zielsicher zu einer Tür im zweiten Stock führte. Er hob seine Hand und klopfte an dieser, hielt den Atem leicht an. Was, wenn Kristin ihm jetzt nicht öffnen wollte? Oder wenn sie sich weigern würde mit ihm zu sprechen? Sein Kopf dröhnte von den negativen Gefühlen, die in diesem Haus herrschten und er hatte fast ein wenig Angst, dass diese ihn ganz einnehmen würden.


Kristin schreckte hoch, als es an ihrer Tür klopfte. Sie zögerte sehr lange, ob sie aufmachen sollte. Wer sollte hier schon zu ihr kommen? Niemand wusste, dass sie hier war. Aber derjenige schien offenbar nicht weg zu gehen. Also stand sie auf, wischte sich über die brennenden, rot geweinten Augen und lief zur Tür, die sie nur einen Spalt öffnete, aber sofort erstarrte. „Brahve...“ murmelte sie schwach.
Kristin!“ Erleichterung stieg in Brahve auf, gemischt mit Sorge und schlechtem Gewissen, als er deutlich ihre Tränen riechen konnte.
Du... du... hättest nicht her kommen sollen.“ stamelte sie, nicht sicher, was sie davon halten sollte, dass er jetzt hier war.
Lass mich rein. Bitte.“ Sein Kopf drohte zu platzen und er war sich nicht mal bewusst, wie schmerzverzerrt sein Gesicht war.
Letzteres brachte Kristin auch dazu die Tür zu öffnen und ihn ins Zimmer zu ziehen. „Was ist mit dir, Brahve?“ fragte sie und die echte Besorgnis in ihrer Stimme traf ihn völlig unvorbereitet.
Es... hat mich viel Kraft gekostet, her zu finden. Mein Kopf ist überflutet mit Gefühlen.“ murmelte er.
Kristin drückte ihn auf die Matratze, blieb selber stehen, unschlüssig, was sie nun tun sollte. „Warum bist du hier? Haben meine... hat Rhage... dich geschickt?“ Es tat ihr fast selber weh, sich so zu verbessern, aber zur Zeit konnte sie kaum von Rhage und Mary als ihren Eltern sprechen.

Brahve schüttelte schwach den Kopf. „Nein. Ich sollte nicht nach dir suchen, aber ich musste. Ich... kann dich nicht im Stich lassen. Nicht... noch mal. Und ich... muss wissen... ob das, was du gesehen hast, irgendetwas zwischen uns ändert.“ Bei den letzten Worten gelang es ihm nicht, sie anzusehen.
Es dauerte einen Moment bis Kristin überhaupt etwas dazu sagte. „Ich wünschte, es würde nichts ändern. Ich weiß es aber nicht. Ich meine... wenn es das ist, was du willst, dann... dann... ich kann das nicht.“
Erschrocken sah er sie an. „Was? Aber, so ist es nicht, Kristin. Es ist nicht so, dass ich das so will. Schon gar nicht, wenn es um dich geht. Ich hasse diese Seite an mir. Ich verliere völlig die Kontrolle über mich, über meinen Körper. Ich vermeide es so lange wie möglich mich zu nähren, weil ich Angst habe, dass es wieder passiert. Ich schäme mich dafür. Und schon gar nicht wollte ich, dass du das mit ansehen musst. Und deswegen... weg läufst.“
Kristin konnte spüren, dass Brahve sich wirklich schämte. Und sie wollte es glauben, dass das nicht das war, was er wollte. Es überraschte sie allerdings zu hören, dass er glaubte, sie wäre wegen ihm weggelaufen. „Ich bin nicht wegen dem weggelaufen. Jedenfalls... nicht nur.“ sagte sie leise.
Es war Brahve wahnsinnig schwer gefallen über seine Scham zu sprechen, aber er musste es ihr gegenüber unbedingt loswerden. Ihre Worte jedoch hatten sofort seine Aufmerksamkeit. „Nicht? Aber... was ist passiert?“ wollte er wissen. „Du kannst mit mir reden. Ich weiß, dass du unsicher bist wegen dem, was du gesehen hast, aber... ich bin immer noch der Brahve, den du kennst.“ versuchte er ihr zu sagen.
Noch immer ein wenig zögerlich ließ Kristin sich auf der Matratze neben ihm nieder. Sie wollte allerdings darüber sprechen, musste darüber sprechen. Vor allem musste sie mit ihm darüber sprechen. Die letzten Stunden, die sie alleine verbracht hatte und sich in ihren Gedanken verloren hatte, waren schwer genug zu ertragen gewesen. Die Einsamkeit und das Gefühl mit all dem ganz alleine zu sein, war das Schlimmste von allem gewesen, noch schlimmer als das Gefühl verraten worden zu sein.
Ich... ich hab gehört, wie meine M... wie Mary sich mit Marissa unterhalten hat. Darüber, dass Butch mir Blut gegeben hat, weil Mary es nicht konnte. Sie... sie haben darüber geredet, ob sie mir nicht doch die... Wahrheit sagen sollten.“ platzte es aus ihr heraus und sie hörte wieder jedes einzelne Wort des Gespräches. „Meine Mutter... meine richtige Mutter... ist tot! Und niemand wollte mir je etwas davon sagen!“
Brahve vergass seine Kopfschmerzen. Vergass seine Scham und seine Zweifel ob das jetzt zwischen ihnen stehen würde und schenkte ihr stattdessen seine volle Aufmerksamkeit. „Was? Aber... wie... wie kann das sein?“ murmelte er.

Dunkel erinnerte er sich an seine Kindheit. Er wusste noch, dass er mit Nalla beim Spielen Kristin gefunden hatte, aber er hatte als kleines Kind nie Fragen gestellt, warum das so gewesen war, hatte nicht verstanden, was das vielleicht zu bedeuten hatte. Er hatte es immer nur so gesehen, dass sie Rhages und Marys Tochter war und etwas anderes hatte man nie zu ihm gesagt.
Ich... ich... scheinbar ist meine Mutter gestorben und hat mich Rhage hinterlassen. Rhage und Mary haben mich dann als ihre... Tochter aufgenommen.“ sagte sie leise. „Brahve, ich hatte mein ganzes Leben lang das Gefühl, ich gehöre nirgendwohin. Zu niemandem. Und jetzt... weiß ich auch warum. Weil alles gelogen war.“
Brahve wollte ihr so viel sagen. Ihr sagen, dass nicht ALLES gelogen war. Die Liebe von Rhage und Mary zu ihr war echt, Tatsache ob Mary ihre Mutter war oder nicht hin oder her. Aber er wusste, dass sie ihm nicht zu hören würde im Moment. Dafür klang sie viel zu bitter, viel zu enttäuscht. Dennoch wollte er versuchen, sie irgendwie zu trösten, ärgerte sich ein wenig darüber zu unbeholfen zu sein, was das anging.
Vorsichtig legte Brahve einen Arm um ihre Schultern, nicht sicher ob sie das zu lassen würde oder ob er all seine Privilegien verspielt hatte, was Berührungen anging. Allerdings ließ sie es zu, lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. Mit seinen Finger spielte er sanft in den lockigen Spitzen ihrer Haare.
Das ist nicht wahr, Kristin.“ sagte er leise. Sein Atem striff beim Sprechen ihre Wange und es fühlte sich an, als würde er sie zärtlich streicheln. „Du gehörst nicht zu Niemandem. Du... gehörst zu... mir.“ sprach er zum ersten Mal aus, was eine Stimme in ihm schon seit Wochen immer wieder sagte. Und es fühlte sich richtig an, fühlte sich echt an.
Kristins Herz blieb für einen Moment stehen nur um gleich darauf in viel zu schnellem Rhythmus wieder zu schlagen begann. „Aber... was... was willst du damit sagen? Brahve... ich kann nicht mehr zurück ins Anwesen. Nicht im Moment. Und du, du...“
Ich bleibe hier.“ unterbrach er sie entschieden.
Aber du... bist der Prinz. Du kannst nicht einfach weg. Und mit mir in diesem... diesem Drecksloch hier leben.“ stotterte sie.
Doch, das kann ich. Und das werde ich auch. Ich werde nachher noch mal zurück ins Anwesen gehen und was zum Anziehen und ein paar nützliche Sachen holen, die wir hier brauchen könnten. Aber dann werde ich bei dir bleiben. Und nichts wird mich davon abbringen. Auch du nicht.“ Noch immer spielte er in ihren Haaren, hielt sie fest an sich gedrückt.
Seine Nähe beruhigte sie. Und dass er bei ihr bleiben wollte, war fast schon zu schön um wahr zu sein. Sie schloß ihre Augen und ließ es zu, dass sie für den Moment nichts anderes mehr spürte, als nur seine Nähe, dass sie alles andere vergessen konnte. „Dann bleib bei mir.“ flüsterte sie leise.
Für immer.“ antwortete er ohne zu zögern.

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