Langsam, nur sehr langsam schaffte Kristin es sich aus der Dunkelheit zu lösen. Übrig blieb die Kälte. Ihr Körper zitterte. Und sie wusste nicht, wo sie war, war kurz davor in einer Panik auszubrechen. Ihre Hand tastete zu ihrem Hals und konnte dort zwei Ketten spüren. Zwei Ketten von wohl den wichtigsten Personen, die es in ihrem Leben gab. Ihre Mutter. Und Brahve.
Sie versuchte, sich aufzusetzen, als sie spüren konnte, wie zwei starke Hände wieder zurück drückten.
„Willkommen Zurück, meine Kleine.“
Eine ihr vertraute Stimme, die sofort dafür sorgte, dass ihre Panik nachließ, obwohl sie ihre Augen noch immer nicht ganz geöffnet hatte. „Daddy.“ flüsterte sie, ihre Stimme kaum hörbar.
„Ja, Baby, ich bin hier. Alles ist gut.“
„Mommy?“ war das nächste, was sie hervor brachte.
„Ich bin auch hier.“ Mary hatte Tränen in den Augen. Zwischendurch hatte sie immer wieder der Schlaf eingeholt, als sie am Bett von Kristin gesessen hatten um zu warten, dass diese wieder wach wurde, aber jetzt war sie einfach nur erleichtert darüber, dass Kristin endlich wieder bei ihnen war.
Kristin spürte, dass sie innerlich ruhiger wurde. Ihre Eltern waren bei ihr. Das bedeutete, dass sie in Sicherheit war und dass ihr nichts passieren konnte. Was ihr allerdings noch immer etwas Angst machte, war dass sie alles nur ein wenig verschwommen vor ihren Augen sah, was passiert war. Wie in einem Nebel.
Sie konnte sich noch daran erinnern, dass sie mit Brahve zusammen in die Stadt gefahren war. Wusste noch wie aufgeregt sie gewesen war, weil sie mit ihm zusammen essen gehen würde. Und dann waren da plötzlich diese Männer gewesen. Männer, die sie angegriffen hatten. Und dann war nur noch dieser Schmerz. Blut.
„Brahve!“
Erst, als sie spürte, dass ihr Vater ihr erneut seine Hände auf die Schultern legte, wurde ihr bewusst, dass sie das laut ausgesprochen hatte und dass sie sich in dem Bett in dem sie lag aufgesetzt hatte. „Brahve.“ murmelte sie noch mal leise.
Besorgt wechselte Mary einen Blick mit Rhage. „Brahve geht es gut, Schatz. Er ist auch hier auf dem Anwesen und ist in Sicherheit.“ versuchte Mary ihr zu sagen, hoffte, dass sich Kristin beruhigen würde, wenn sie das hörte.
So recht schien das nicht zu wirken. Unruhig bewegte sich Kristin hin und her, versuchte, sich daran zu erinnern, was passiert war, nachdem diese Männer da gewesen waren, was mit Brahve gewesen war. Ihre Hand umschloß wieder ihre Kette. Diesmal die mit dem blauen Stein. Etwas fehlte jetzt... jemand... Brahve!
„Kann... ich... ihn sehen?“ fragte sie schwach.
Rhage biss die Zähne aufeinander. So fest, dass die Venen an seinem Hals deutlich hervortraten und pulsierten. Vorsichtig legte Mary ihm eine Hand auf den Arm. „Vielleicht sollte er wirklich her kommen? Du siehst doch, wie es ihr geht.“
Es kostete Rhage einiges an Überwindung, aber schließlich nickte er. „Okay, soll er halt her kommen.“ murmelte er und öffnete die Tür um Vishous, der in der Nähe geblieben war, Bescheid zu sagen, dass er Brahve her holen sollte.
Vishous zeigte kaum eine Reaktion, zog nur die Augenbrauen leicht hoch und nickte dann, verschwand darauf bereits.
Als es an seiner Tür klopfte, hatte Brahve keine Ahung wie spät es war. Die Rolläden waren noch unten, also war es vermutlich mitten am Tag. Vishous Stimme ertönte von draußen und er verstand nur, dass Kristin ihn sehen wollte. Das genügte, um ihn aufspringen zu lassen. Fluchend stolperte er, hatte vergessen, dass sein Bein noch angeschlagen war. Zu vor im Trainingsraum hatte er nichts mehr davon gespürt, aber jetzt hatte er doch wieder etwas Schwierigkeiten, das Bein voll zu belasten.
Im Dunklen versuchte er so schnell wie möglich etwas zum Anziehen zu finden, fluchte dabei immer wieder und hatte es schließlich so weit geschafft, dass er die Tür öffnen konnte, V nicht nackt gegenüber stehen musste und bereit war, zu Kristin zu gehen. Dass sie wach war, ihn offenbar sehen wollte, weckte die unterschiedlichsten Emotionen in ihm.
„Langsam, Kleiner. Du stolperst bei jedem Schritt.“ mahnte Vishous ihn nur knapp, woraufhin Brahve wieder nur über sein Bein fluchte.
Einige Minuten später hatten sie dann endlich die Krankenstation erreicht. Dass es Rhage nicht passte, dass Brahve zu Kristin konnte, war nicht zu übersehen. Seine Fänge waren leicht ausgefahren, sein kompletter Körper schien unter Strom zu stehen und Mary hatte ihre Hand fest auf seinem Arm liegen, als die Beiden aus dem Raum kamen, in dem Kristin lag.
„Sie ist noch sehr schwach.“ sagte Mary leise und schob mühsam den schweren Körper ihres Mannes zu den Stühlen.
Brahve atmete tief durch, ignorierte sein jetzt doch wieder schmerzendes Bein und betrat dann den Raum. Sein Herz wurde von Wärme und Erleichterung durchflutet, als er Kristin sah. Mit eigenen Augen sah, dass sie lebte und dass sie wach war. Er schluckte seine Gefühle so gut es geht runter, wollte nicht, dass sie ihm eventuell ansehen konnte, wie nahe ihm das doch alles ging. Und so setzte er sich einfach nur auf den Stuhl neben ihrem Bett und griff vorsichtig nach ihrer Hand.
„Hi.“ sagte er schließlich nach einem Moment, in der einfach nur geschwiegen hatte und ihre Hand gehalten hatte.
„Hi.“ murmelte sie.
„Wie fühlst du dich?“
„Es geht. Schwach. Ich glaube, ich war... im Schleier.“
Brahves Sinne erwachten zu vollem Leben. Im Schleier? Das war der einzige Ort, an dem er sie nicht beschützen konnte und wenn er der beste Krieger werden würde, den es je in der Bruderschaft gegeben hatte und genau das hatte er vor zu werden. „Shhhht... du bist aber jetzt hier. Bei mir.“ antwortete er ihr, seine Stimme voller Emotionen, voller Angst vor dem, was hätte passieren können und wie nahe er dran gewesen war, sie wirklich zu verlieren.
„Wie geht es... dir? Was ist passiert?“ wollte sie wissen.
„Mir geht es gut, Kristin. Mach dir... also mach dir um mich keine Sorgen.“ Dass sie sich um ihn sorgte, berührte ihn wirklich. Er war sich nicht sicher gewesen, ob sie ihn jetzt vielleicht verachten würde, ob sie böse sein würde, weil er sie überhaupt erst in diese Situation gebracht hatte. „Es tut mir leid. Ich hätte dich... also ich meine... ich hab dich in Gefahr gebracht.“ murmelte er und schluckte schwer.
Kristin setzte sich leicht auf, sah Brahve erschrocken an, weil er das so zu denken schien. „Was? Nein. Brahve, das waren Lesser. Killer. Sie hätten dich auch töten können. Und ich wollte doch mit dir... essen gehen.“ sagte sie leise, hustete dann leicht und ließ sich wieder zurück sinken. „Denk so nicht. Bitte. Du hast mich gerettet.“
Sie schloß ihre Augen wieder, spürte, dass ihr Körper offenbar doch dringend noch Ruhe zu brauchen schien.
Brahve spürte die Gefühle, die von ihr ausgingen. Spürte, dass sie ehrlich glaubte, dass er ihr Held gewesen war, der sie da raus gebracht hatte und alles in ihm wollte schreien, dass er das nicht verdient hatte. Nicht von ihr, während sie jetzt noch immer auf diesem Krankenbett lag. Aber ein anderer Teil von ihm wusste, dass er das brauchte, wenn er jemals wieder zu Ruhe kommen wollte, wenn er jemals innerlich wieder sich selbst finden wollte.
„Bleibst du noch?“ flüsterte sie.
„Ja, ich bleibe.“ antwortete er. In dem Moment war ihm alles egal, Es war ihm egal, dass er das Gefühl hatte, dass es diesmal mit seinem Vater nicht so leicht wieder in Ordnung zu bringen war, es war ihm egal, dass alle davon erfahren würden, dass er aus dem Trainingsprogramm geflogen war. Er wollte nur noch bei ihr bleiben und sie wenigstens jetzt beschützen, dafür sorgen, dass es ihr jetzt gut ging. Es war ihm selbst egal, ob Rhage ihm vielleicht alle Knochen brechen würde, wenn er das jetzt tun würde. Und so legte er sich so gut es ging neben sie auf das Bett.
Als er einen weichen, warmen Körper neben sich spüren konnte, stockte ihm der Atem. Noch nie hatte er einen Körper neben sich gespürt nach dem Aufwachen, denn noch nie hatte er sich gestattet, neben einer Frau einzuschlafen. Er musste zu geben, dass es ihm gefiel, vor allem das Wissen, dass es Kristin war, die neben ihm lag. Er versuchte sich zu sagen, dass es nicht nur die Umstände waren, die dazu geführt hatten, dass er irgendwann neben ihr eingeschlafen hatte, obwohl er wusste, dass es genau diese waren und es sonst so ziemlich undenkbar wäre, dass er mit Kristin in einem Bett schlief.
Jetzt, sich ihrer Nähe deutlich bewusst, setzte er sich so vorsichtig wie möglich auf, um sie nicht zu wecken. Er fühlte sich zwar etwas müde, hatte nur wenige Stunden geschlafen, aber das hier motivierte ihn nur noch mal mehr, dieses Training mit Payne durch zu ziehen. Ein wenig unsicher, ob er einfach so gehen sollte, ohne Kristin Bescheid zu sagen, griff er schließlich nach einem Blatt Papier und einem Stift um ihre eine Nachricht zu hinterlassen, damit sie sich nicht wunderte, weil er nicht mehr da war. Wecken wollte er sie nicht wirklich und noch länger hier warten, kam auch nicht in Frage. Er nahm an, dass Rhage sicher bald nach seiner Tochter sehen kommen würde und er wollte nicht, dass er wusste, dass er die ganze Zeit hier verbracht hatte. Und außerdem hatte er sich fest vorgenommen, nicht gleich zu seinem ersten Treffen mit Payne zu spät zu kommen, wollte wirklich zeigen, dass man sich doch auf ihn verlassen konnte. Und er vermutete, dass es noch ein schwerer und langer Weg dahin war, dass er sich das Vertrauen der Andereren wirklich verdient hatte.
Erleichtert stellte Brahve fest, dass Payne noch nicht da war und er somit nicht zu spät war. Eine Minute später erschien die Kriegerin in einem lockeren Trainingsoutfit, ihre Haare erneut zu einem Zopf zusammen gebunden und nickte ihm leicht zu. „Denkst du, das wird gehen so?“ fragte sie und deutete auf Brahves Bein.
Brahve verzog sein Gesicht leicht, wollte sich aber nicht jetzt schon gleich eine Schwäche anmerken lassen. „Ja, das geht schon!“ sagte er.
„Okay, ich hab dich vorher gefragt.“ Payne zuckte mit den Schultern und steuerte auf die Tür zu, die zum Hauptrainingsraum führte, der fast komplett mit Matten ausgelegt war und in dem in der Regel Mann gegen Mann gekämpf wurde.
Es erleichterte Brahve etwas, dass Payne nicht gerade jemand war, der groß darum redete. Mit Worten war er einfach nicht wirklich gut. Er folgte ihr, bereit mit dem Training zu beginnen.
In der Tür blieben sie Beide stehen und Payne konnte nicht anders als über das Bild, was sich ihnen bat zu grinsen.
Blay lag auf dem Rücken auf einer der Matratzen. Qhuinn kniete über ihm, hatte Blays Hände mit seinen neben dessen Kopf auf den Boden gedrückt und sich zu ihm gebeugt um ihn zu küssen.
„Bevor ihr beide noch weiter geht... ihr seid nicht alleine.“ räusperte Payne sich amüsiert.
Die beiden männlichen Vampire fuhren auseinander und sprangen auf. Blay stellte sich etwas hinter seinen Partner, vermutlich weil sich seine Erregung unter der Trainingshose, die er trug, nur schwer verbergen ließ.
Qhuinn fuhr sich mit einer Hand durch seine zerzausten Haare. „Um die Zeit ist doch noch gar kein Training.“ murmelte er etwas verwirrt. „Ich hab nur ein bißchen Nahkampf mit Blay geübt.“
„Ja, das hab ich gesehen. Interessante Technik. Probier sie ja nicht bei mir aus.“ gab Payne lachend zurück.
„Keine Sorge, die habe ich für Blay reserviert.“ grinste Qhuinn und konnte spüren, wie Blay nun nach seiner Hand griff. „Verrate mir lieber, was tust du um diese Zeit schon hier? Und warum hast du unseren Junior mit gebracht? Ich dachte, er ist raus aus dem Training?“ Neugierig musterte Qhuinn nun Brahve.
„Ist er auch. Aber ich hab ihn gestern beobachtet und denke, er hat viel mehr Potential als bisher jemand bemerkt hat. Deswegen würde ich ihn gerne außerhalb des Trainingsprogramms trainieren.“ erklärte Payne.
Qhuinn schien einen Moment darüber nachzudenken, bevor er nickte. „Okay, ich will ihn mir auch ansehen. Blay, wenn du nicht bleiben willst...“
Blay trat nun neben Qhuinn und lächelte diesen an. „Und den ganzen Spaß verpassen? Nein, ich bin natürlich auch dabei.“ sagte er.
In Qhuinns Augen blitzte etwas auf, als er Blay nun ansah. In den verschieden farbigen Augen, die er immer als sein Makel gesehen hatte, von denen man ihm immer gesagt hätte, das wäre einer. Bis Blay ihn langsam aber sicher dazu gebracht hatte, wirklich zu glauben, dass seine Augen etwas besonderes waren. „Ich wusste, dass du bleibst. Merk dir, wo wir eben waren.“ murmelte er und zwinkerte Blay zu bevor die Beiden sich etwas an die Seite setzten.
„Hast du ein Problem mit Zuschauern?“ wendete Payne sich nun an Brahve.
„Nein, kein Problem. Von mir aus können wir loslegen.“ Eigentlich motivierte es Brahve eher noch mehr. Er sah es noch mehr als Chance an, nun gleich dreien der Trainer zu zeigen, dass er doch nicht schlecht war.
„Gut, dann legen wir los. Greif mich an!“
„Wie? Einfach so?“
Payne nickte. „Ja, natürlich einfach so. Also los, greif mich an, Kleiner!“
Brahve zögerte kein zweites Mal sondern ging mit Schlägen auf sie los. Mit relativer Leichtigkeit wehrte Payne diese ab und landete ihrerseits einen recht harten Treffer gegen Brahves Ellbogen.
„Hey, was war das?“ Überrascht wich Brahve einige Schritte zurück und hielt sich seinen Ellbogen.
„Das war Lektion Nummer 1. Vergesse nie und damit meine ich nie... deine Deckung! Du bist einfach blind auf mich losgegangen, aber du hast nicht darauf geachtet, mir keine Angriffsfläche zu bieten.“ erklärte Payne. „Los, versuch es noch mal!“
Diesmal bemühte Brahve sich, nicht ganz so unkoordiniert anzugreifen und es klappte auch etwas besser. Payne wehrte seine Schläge ab, konnte aber selber keinen Treffer landen. Allerdings trat sie ihm schließlich gegen sein verletztes Bein, was Brahve aufschreien ließ. „FUCK!“ murmelte er und ließ sich für einen Moment auf den Boden sinken.
„Lektion Nummer 2. Sobald dein Gegner eine deiner Schwächen kennen sollte, wird er diese gnadenlos ausnutzen.“ sagte sie wieder. „Und ich hab dich vorher gefragt, ob du trotzdem anfangen willst. Wie sieht es aus? Bist du weiterhin dabei oder gibst du bereits auf?“
Brahve wischte sich den Schweiß von der Stirn und biss die Zähne zusammen. Er wusste, dass Payne das nur tat um ihn richtig vorzubereiten und dass sie recht hatte. Normalerweise würde niemand in einem Kampf Rücksicht darauf nehmen, dass sein Bein noch etwas angeschlagen war. Wieder biss er die Zähne zusammen und nickte entschlossen. „Ich mache weiter!“
Etwa eine Stunde lang kämpfe Brahve dann gegen Payne. Es war das härteste Training, was er je hinter sich gebracht hatte – obwohl das zugegebenermaßen nicht gerade viele gewesen waren. Danach spürte er jeden einzelnen Knochen, war schweiß gebadet. Aber er hatte sich dazu gezwungen weiter zu machen, auf keinen Fall jetzt aufzugeben.
„Okay, genug für heute.“ Paynes Bewegungen waren weit eleganter als seine und sie schien nicht mal halb so viel geschwitzt zu haben wie er. Aber sie nickte ihm leicht zu und lächelte. „Also, ich denke, ich hatte recht. Du hast Potential. Wenn wir weiter arbeiten, dann kann ich aus dir einen wirklich guten Krieger machen.“ sagte sie ehrlich und drehte sich dann leicht zu Qhuinn und Blay um, die sich alles mit angesehen hatten. „Was denkt ihr?“
Qhuinn nickte sofort. „Seh ich genau so. Und ich wäre dabei, ihn weiter zu trainieren.“
„Ich auch. Wir können ihm ja auch noch ein wenig anderes zeigen, als du.“ nickte auch Blay.
„Okay, dann würde ich sagen... die nächste Stunde verbringst du mit Qhuinn im Kraftraum und mit Blay gehst du die Taktik durch.“ entschied Payne. Beide Vampire waren damit sofort einverstanden. „Dann sehe ich dich nach dem letzten Mahl im Kraftraum.“ sagte Qhuinn zu Brahve, der nickte. Wie es aussah hatte er nun schon mal drei Leute auf seiner Seite, aber er machte nicht den Fehler, damit schon zu glauben, dass er es wirklich geschafft hatte.
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