Dienstag, 24. April 2012

Chapter 25


Zum ersten Mal seit dem Angriff, fühlte Kristin sich stark genug, um wirklich aufzustehen und das Zimmer zu verlassen. Sie freute sich, dass sie eine Dusche nehmen konnte, sich etwas stylen konnte und zog sich dann recht lockere Klamotten an, bevor sie ihr Zimmer verließ und zunächst ein wenig durch das Anwesen lief. Recht schnell jedoch zog es sie zu Brahves Zimmer, wollte sehen, ob er da war und ob er vielleicht Zeit dafür hatte, etwas mit ihr zu machen.
Schon als sie sich Brahves Zimmer näherte, dessen Tür nur leicht angelehnt war, hatte sie kein gutes Gefühl, konnte aber auch nicht einfach umdrehen und gehen. Sie wollte nachsehen, ob es Brahve gut ging, musste einfach sicher gehen.
Als sie die Tür ganz öffnete, erstarrte sie komplett. Sie war gerade in dem Moment dazu gekommen, als Brahve sich knurrend über die Auserwählte beugte und deren Robe zerriss. Sie presste eine Hand vor ihren Mund, entsetzt von dem, was sie gerade zu sehen zu bekommen. Ihre Beine wollten ihr nicht gehorchen, so dass sie sich kein Stück von der Stelle bewegte, auf dieses schreckliche Bild vor sich starrte. Nie hatte sie geglaubt, dass Brahve zu so etwas fähig wäre.

Brahve wusste nicht genau, was es war, das ihn in seinen Bewegungen stoppen ließ. Instinkt vielleicht. Das Wissen, dass gerade etwas überhaupt nicht stimmte. Er zwang sich, seine Lippen von der Wunde an Ravenas Hals zu lösen und drehte seinen Kopf leicht, sein Körper noch tief in Ravenas versunken.
Kristin erstarrte erneut, stolperte ein paar Schritte zurück, als ihre Beine ihr wenigstens halbwegs wieder gehorchen wollten. Der Ausdruck in Brahves Augen war wild. Sie konnte ihn in diesem kaum noch erkennen. Seine Lippen waren blutverschmiert, seine Fänge weit ausgefahren. Nichts von dem, was sie sonst in ihm sah – ihrem beste Freund, der Person, die tiefer in ihrem Herz verwurzelt war, als sie gedacht hatte.
Ihr wurde bewusst, dass es bei dem, was sie vor sich sah um Blut ging. Um Sex. Beides Sachen, die sie Brahve so nicht geben konnte. Beim Zweiten wurde ihr leicht anders, aber offensichtlich hatte Brahve so gar nicht die Vorstellungen davon, die sie hatte und somit würde sie ihm nie das richtige geben können. Erneut presste sie ihre Hand vor den Mund und schaffte es dann, sich ganz umzudrehen und weg zu rennen.


Erst im Foyer stoppte Kristin, nachdem sie zu vor mehr oder weniger blind durch das Anwesen gestolpert war, nur weg von diesem Bild, das sie allerdings ohnehin verfolgte und wahrscheinlich auch verfolgen würde, egal wie viel Abstand sie zwischen sich und Brahve gebracht haben würde. Unsicher, wo sie jetzt hin sollte, sah sie sich um, hörte aus dem Wohnzimmer Stimmen und atmete erleichtert auf, als sie erkannte, dass eine davon die von ihrer Mutter war und steuerte auf das Zimmer zu, in der Hoffnung, dass die Nähe ihrer Mutter sie beruhigen würde, wie sie es eigentlich immer getan hatte.
Habt ihr es ihr denn jetzt gesagt? Also nachdem sie mit bekommen hat, dass es Butchs Blut war, was ihr geholfen hat und nicht deins?“
Marissas Stimme. Und ihre Worte ließen Kristin inne halten. Vor der Tür blieb sie stehen und hielt den Atem an, als sie auf die Antwort von ihrer Mutter wartete.
Nein, haben wir nicht. Rhage und ich... wir finden immer noch, dass wir es ihr nicht sagen sollen. Wir wollen nicht, dass sich irgendwas zwischen uns ändert.“ sagte Mary leise.
Kristin wurde noch mal mehr anders und verschiedenste Szenarien worum es bei diesem Gespräch ging, spielten sich vor ihrem Auge ab.
Das kann ich verstehen. Obwohl ich ja denke, sie ist und bleibt nun mal deine Tochter. Es gibt doch niemanden mehr, der sie dir wegnehmen kann.“ gab Marissa zu bedenken.
Ich weiß. Eigentlich weiß ich das ja auch. Manchmal fühle ich mich immer noch schlecht deswegen, dass ich irgendwie erleichtert darüber bin, dass ihre Mutter tot ist, dass sie nie vor der Tür stehen kann und mir Kristin wegnehmen kann.“
Kristin presste eine Hand vor ihren Mund. Wie viel sollte sie heute noch ertragen? Erst hatte es sie vollkommen erschüttert, welche Seite sie von Brahve zu vor hatte kennenlernen müssen und jetzt brach ihre heile Welt gerade vollkommen in sich zusammen. Sie konnte nicht fassen, was sie da gerade erfahren hatte. Ihr Herz fühlte sich so schwer an wie Blei, ihre Kehle wie zu geschnürt.

Einen Moment später stürzte sie ins Wohnzimmer, sah mit tränenverschleiertem Blick zu ihrer Mutter und ihrer Tante.
Kristin...“ Mary erstarrte, wurde blass. Sie brauchte nicht zu fragen ob Kristin gehört hatte, worüber Marissa und sie geredet hatten. „Schatz, ich...“
Hör auf damit. Hör auf damit, jetzt weiter so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Und als wäre ich dein Schatz!“ unterbrach Kristin sie überraschend hart.
Aber... lass uns darüber reden, hm?“ versuchte Mary es weiter.
NEIN!“ Kristin schüttelte den Kopf, starrte ihre Mutter einfach nur an. „Warum sollten wir jetzt reden, wo ihr mein ganzes Leben lang nicht wirklich mit mir geredet habt?“ Sie schluckte schwer. „Du freust dich darüber, dass meine... meine Mutter...“ Sie stockte leicht, es war nicht einfach, jetzt von ihrer Mutter als einer ihr völlig fremden Person zu sprechen. „... dass meine Mutter tot ist? Dann... weißt du jetzt ja, wie sich das anfühlen muss... du bist für mich nämlich jetzt auch tot!“ Noch nie hatte sie so mit Mary gesprochen, noch nicht mal ansatzweise so über sie gedacht und es zerriss ihr selber das Herz, dass sie das nun so tun musste. Länger würde sie es auf keinen Fall in diesem Zimmer aushalten, mit ihr in diesem Zimmer, ohne dass sie zusammen brechen würde und so drehte sie sich um und rannte aus dem Raum.
Kristin... warte!“ rief Mary ihr hilflos nach. Marissa legte ihr sanft eine Hand auf den Arm.
Es tut mir so leid, dass das passiert ist. Aber, du weißt, dass sie das nicht so gemeint hat, oder? Sie hat das nur gesagt, weil sie wütend und geschockt ist, wegen dem, was sie erfahren hat, aber sie hat es nicht so gemeint.“ versuchte sie Mary etwas zu beruhigen.
So... so... habe ich sie noch nie gesehen. Und sie ist doch eigentlich noch so schwach.“ murmelte Mary. „Ich... jetzt... habe ich sie wohl doch verloren.“
Nein. Das hast du nicht. Wenn sie sich beruhigt hat, dann werdet ihr in Ruhe über alles reden und dann sieht alles schon wieder ganz anders aus. Soll ich Rhage Bescheid sagen?“
Mary nickte schwach. Sie konnte Rhage jetzt wirklich gebrauchen, obwohl sie eine gewisse Angst davor hatte, dass Rhage ihr die Schuld dafür geben könnte, dass das eben passiert war.


Blind vor Wut, Verzweiflung und Enttäuschung stürmte Kristin in ihr Zimmer und riss eine Reisetasche aus ihrem Schrank, in die sie ziemlich wahllos einige Sachen schmiss. Unter keinen Umständen wollte sie jetzt in diesem Haus bleiben. Jetzt, wo die Menschen, die ihr am meisten bedeuteten sie am meisten enttäuscht hatten, gab es nichts mehr, was sie hier hielt.
Nachdem sie einiges eingepackt hatte, setzte sie sich an den Tisch in ihrem Zimmer und nahm ein Stück Papier um eine kurze Nachricht auf dieses zu schreiben, die sie an ihren Vater adressierte.
Ich kann nicht länger hier bleiben. Mach dir um mich keine Sorgen. Jetzt weiß ich wenigstens, warum ich mich immer so gefühlt habe, als würde ich nicht so wirklich hier her gehören. Ich habe nie wirklich hier her gehört. Ich muss jetzt meinen eigenen Platz finden.
Kristin.“
Nach kurzem Zögern nahm sie die Kette ab, die Mary ihr geschenkt hatte und legte sie auf den Zettel, auf dem sie die Nachricht geschrieben hatte und der mittlerweile deutliche Spuren ihrer Tränen aufwies. Die Kette von Brahve ließ sie um, obwohl sie im Moment nicht mal wirklich wusste, warum. Vielleicht weil sie noch nicht ganz so weit war um sich von allem auf einmal zu lösen, was ihr aus ihrem Leben noch blieb.
Sie nahm die Tasche, warf nicht noch mal einen Blick zurück in ihr Zimmer und verließ das Anwesen. Wohin genau sie gehen wollte, wusste sie nicht.

Eine so verzweifelte Mary hatte Rhage noch nie zu vor erlebt und wenn er ehrlich war, dann hatte er es auch nie erleben wollen. Es war nicht einfach, überhaupt etwas von dem zu verstehen, was sie sagte, wurde sie doch immer wieder von herzzereissendem Schluchzen unterbrochen und zitterte sie am ganzen Körper. Er versuchte so gut es ging sie zu halten, aber selbst seine Nähe schien sie nicht zu beruhigen.
Ich hab sie verloren.“ wiederholte sie zum bereits unzähligem Male.
Nein. Das glaub ich nicht. Es war ein Schock für sie. Und sie wird verletzt sein. Verwirrt. Enttäuscht. Aber wenn ihr erster Schock vorbei ist, dann wird sie mit uns sprechen. Ganz sicher.“ Auch er hatte das jetzt schon mehrfach wiederholt, wollte selber wirklich daran glauben, was er sagte.
Sie... hat gesagt, ich bin tot für sie.“ murmelte Mary.
Shhhht... ich werde jetzt nach ihr sehen und werde versuchen, mit ihr zu reden.“ Rhage küsste ihr sanft auf die Stirn und lief dann zum Zimmer seiner Tochter.

Dass sie auf sein Klopfen nicht antwortete beunruhigte ihn zunächst nicht wirklich. Er nahm an, dass sie zur Zeit allgemein niemanden sehen würde und ihn vermutlich erst recht nicht. Nach mehrmaligem Versuchen und einigen Minuten des Wartens betrat er schließlich ihr Zimmer. Auch als er dieses leer vorfand, versuchte er, noch einigermaßen ruhig zu bleiben. Kristin konnte sich auch woanders auf dem Anwesen zurück gezogen haben.
Sein Blick wanderte durch das Zimmer, suchte nach Anzeichen, wo er Kristin finden könnte. Schließlich entdeckte er den Zettel auf dem Bett und er ging mit viel zu schnell schlagendem Herzen zu diesem und griff mit etwas zittrigen Händen danach. Bereits nach den ersten Worten musste er kurz die Augen schließen, schüttelte immer wieder mit dem Kopf. Das hier musste einfach nur ein böser Alptraum sein.
Rhage ballte die Hände zu Fäusten. Das hier war so viel schlimmer als in seinen schlimmsten Alpträumen. „NEIN!“ schrie er, so laut, dass vermutlich jeder im Anwesen gehört hatte.
Kurz darauf stürzte auch schon Mary ins Zimmer. „Sie ist weg.“ murmelte sie leise.

Schwach nickte Rhage und hielt seine Arme auf, damit sie zu ihm kommen konnte und sie beide gemeinsam ihrer Verzweiflung freien Lauf lassen konnte. Mary flüchtete sich in seine Arm, nahm die Kette, die Kristin zurück gelasen hatte in ihren zittrigen Hände und presste sie fest an sich. „Sie... sie ist doch unser... unser Baby. Ich weiß, ich habe vielleicht kein Recht das zu sagen, weil es meine Schuld ist...“
„Nein, Mary.“ Rhage schlang seine Arme noch fester um den zierlichen Körper seiner Frau. „Du hast jedes Recht dazu, zu sagen, du bist ihre Mutter. Und das weißt du auch. Kristin... Kristin... wird das auch noch heraus finden.“ murmelte er, auch wenn ihm diese Worte alles andere als leicht fielen. Zu groß war seine Angst um seine Tochter, die jetzt ganz alleine irgendwo da draußen war. Immerhin hatte sie gerade erst einen Angriff der Lesser überlebt...
Rhage? Kristin ist nicht so schwach, wie du vielleicht denkst.“ Vishous Stimme riss Rhage aus seinen Gedanken. „Wir werden sie finden und ihr wird nichts passieren. Vielleicht musste das passieren, damit sie zu sich selber findet. Wenn sie das Gefühl hatte, nicht dazu zu gehören, braucht sie so was vielleicht.“ V's Stimme war völlig ruhig, seine Worte voller Logik.
Hab ich schon mal gesagt, dass ich hasse, wenn du so redest und dabei auch noch recht hast? Bei Kristin denke ich aber nicht ganz so logisch.“ murmelte Rhage.
Ich weiß. Und dafür hast du ja uns. Wir werden auch nach ihr suchen.“ Als Rhage seinen Kopf hob sah er neun Männer vor dem Zimmer auf dem Flur stehen. Die Brüder. Und alle wirkten entschlossen, ihm zu helfen.


Bis Brahve aus seiner Starre wieder erwachte, dauerte es einen Moment. Das hier schien ihm so unreal zu sein. Er hatte Ravena gerufen, weil er Angst davor gehabt hatte, Kristin vielleicht zu verletzten, Angst davor, dass sie seiner wilden, gefährlichen Seite vielleicht zu nahe kommen würde und jetzt hatte er sie genau damit verletzt. Niemand hätte ihn je so sehen dürfen. Und erst recht nicht Kristin. Vor allem nicht Kristin. Angewidert von sich selber, zog er sich endgültig von Ravena zurück und reichte ihr ein Shirt, dass sie sich überziehen konnte. Längst war jegliche Lust auf Sex bei ihm vergangen. Schnell verschloß er noch ihre Wunden und tastete nach einem Tuch um sich das Blut von den Lippen und aus dem Gesicht zu wischen. Er hatte zwar keine Ahnung, was er ihr sagen sollte, aber er musste mit Kristin reden, musste ihr erklären, dass das hier alles nichts mit ihnen zu tun hatte. Dass das nicht der wahre Brahve war, was sie da eben gesehen hatte. Der wahre Brahve war er nur bei ihr. Würde es immer nur bei ihr sein.
Er stolperte, als er hastig ein paar Sachen zusammen suchte, die er sich überziehen konnte. Nackt konnte er ganz sicher nicht gegenüber treten.
Brahve? Herr?“
Als er die Stimme der Auserwählten hörte, zuckte er zusammen. Er hatte schon fast vergessen, dass sie auch noch hier war und stöhnte genervt auf. „Ravena, danke. Du kannst jetzt gehen.“ sagte er nur knapp. „Ich muss was erledigen!“ Kaum hatte er das gesagt, verließ er auch schon sein Zimmer.
Als Brahve sich Kristins Zimmer näherte und die versammelte Bruderschaft auf dem Flur stehen sah, wusste er sofort, dass etwas ganz schlimmes passiert sein musste. Er hielt ein wenig Abstand, wusste, dass er schließlich nicht zu den Brüdern gehörte und sie ihn somit auch nicht in ihre Planung einbeziehen würde. Er schnappte einige Gespächsfetzen auf, in denen es darum ging, dass sie Kristin finden musste, spürte außerdem verschiedene Gefühle... Verzweifung... auf der anderen Seite Entschlossenheit.
Aus all dem kombinierte Brahve, dass Kristin verschwunden war und das zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Sie war sein Halt. Er brauchte sie, um sich nicht selber zu verlieren. Da er wusste, dass man ihn nicht fragen würde, ob er suchen helfen würde und dass man ihn auch nicht mitnehmen würde, wenn er danach fragen würde, stand für ihn fest, dass er selber nach ihr suchen musste. Immerhin war es seine Schuld, dass sie gegangen war und er würde sie finden! Er musste einfach!

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